Umgang mit demokratiefeindlichen Äußerungen in der beruflichen Bildung

Ein Gastbeitrag von Philipp Klingler und Maria Schneider

Eine Bemerkung im Schulflur, eine ausufernde Diskussion im Unterricht oder eine handfeste Auseinandersetzung in den Pausen: Dass die Schule als Spiegel der Gesellschaft längst mit demokratiefeindlichen Tendenzen konfrontiert ist, verwundert nur noch wenige. Gleichsam verwundert, dass die Lehrkräfteaus- und fortbildung noch zu wenig Gelegenheiten bietet, sich im Umgang mit demokratiefeindlichen Einstellungen und Verhaltensweisen zu professionalisieren. In diesem Gastbeitrag skizzieren wir daher Ansätze für (Berufs-)Schule und Unterricht.

Zunächst aber ist zu klären, was unter demokratiefeindlichen Äußerungen verstanden wird: Demokratiefeindliche Äußerungen können das politisch-demokratische System betreffen. Sie ähneln oder entsprechen dann häufig rechtspopulistischen Parolen[1]. Häufig beziehen sich demokratiefeindliche Äußerungen aber auf die Ideologie der Ungleichwertigkeit. Diese begründet Phänomene wie Antisemitismus, Antiziganismus oder Rassismus. Sie kennzeichnet eine „abwertende und ausgrenzende Einstellung […] gegenüber Menschen aufgrund ihrer zugewiesenen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe“[2]. Diese Äußerungen richten sich an bestimmte Gruppen von Menschen – Menschen, die auch Teil der Lerngruppen sein können.

Wie kann ich auf demokratiefeindliche Äußerungen reagieren?

Ein hilfreiches Werkzeug, um solche Situationen zunächst zu verstehen, ist das sogenannte TOZ-Modell. Es erlaubt, Handlungsstrategien zu entwickeln, die sowohl Betroffene als auch Beteiligte berücksichtigt.[3] Das Modell setzt drei Perspektiven in Beziehung: die der Akteure („Täter*innen“), der Betroffenen („Opfer“) und der Beteiligten („Zuschauer*innen“) und erlaubt, betroffensensibel vorzugehen.[4] Mögliche Analysefragen sind:

  • Welche Wirkung haben meine Handlungsoptionen auf die Akteure, Betroffenen und Beteiligten?
  • Wie vermeide ich eine Bagatellisierung der Situation?
  • Wie handele ich, ohne die Betroffenen erneut in den Fokus zu rücken? 
  • Gibt es Ansprechpersonen für die Betroffenen?
  • Wie können Beteiligte intervenieren, ohne selbst zu Betroffenen zu werden? Sind ihnen ihre Handlungsmöglichkeiten bekannt?
  • Welches Angebot kann ich Betroffenen, Akteuren und Beteiligten jeweils machen, um die Situation auch über den Moment hinaus aufzugreifen (z. B. Beratungsangebot, Aufgreifen des Themas im Unterricht)?
  • Welche Intention haben die Akteure (z. B. böse Absicht, unbewusstes Verhalten)? Welche Ursachen kann ihre Handlung haben (z. B. Unwissen, gefestigte demokratiefeindliche Einstellung)?

Um kurzfristig und in der Situation auf demokratiefeindliche Äußerungen reagieren zu können, bedarf es neben schnellen Reaktionen auch pädagogische Handlungsoptionen. Auch wenn es keine Patentlösung dafür gibt, können diese zehn Orientierungspunkte zu mehr Handlungssicherheit verhelfen:

  1. Begegnen Sie der Äußerung und zeigen Sie Haltung.
  2. Unterbrechen Sie die Situation und begründen Sie Ihre Reaktion (z. B. mit Bezug auf geteilte Werte).
  3. Schützen Sie die Betroffenen und zeigen Sie ein offenes Ohr, um als Ansprechperson wahrgenommen zu werden.[5]
  4. Dokumentieren Sie die Situation: Notieren Sie sich, was gesagt oder getan wurde.
  5. Reflektieren Sie die Situation und die Handlungen auch im Nachgang mithilfe der Dokumentation und mit Kolleg*innen oder Beratungsstellen (z. B. den Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus) (externer Link).
  6. Strafrechtlich relevante Handlungen müssen Sie der Schulleitung auch bei Verdacht melden.
  7. Sprechen Sie, sofern möglich und sinnvoll, mit den Akteuren über Motive und Intentionen. Zeigen Sie auf, weshalb Sie die Situation unterbrochen haben und welche Konsequenzen drohen.
  8. Überlegen Sie, wie das weitere Vorgehen aussehen kann. Das betrifft einerseits das Angebot für die Betroffenen (z. B. Nachgespräch), andererseits aber auch das weitere Vorgehen in der Lerngruppe (ist z. B. eine thematische Auseinandersetzung notwendig, benötigt es die Klarstellung der geteilten Werte und von Regeln für das Zusammenleben).
  9. Informieren Sie andere und beziehen Sie diese in das weitere Vorgehen ein. Das meint sowohl die Kolleg*innen und die Lerngruppe, aber auch außerschulische Bildungsträger und Beratungsangebote.
  10. Atmen Sie durch. Es wird wieder zu ähnlichen Situationen kommen. Wichtig ist, dass Sie gehandelt haben und sich Ihrer Position sicher sind.

Situationen mit demokratiefeindlichen Äußerungen lassen sich im pädagogischen Raum aber nicht in Gegnerschaft auflösen. Das weitere Vorgehen in der Schule ist mit seinem Bildungs- und Erziehungsauftrag verknüpft[6]: Welche Konsequenzen muss eine Äußerung möglicherweise haben? Wie können Bildungsangebote entworfen werden, die die Situation aufgreifen?

Wie kann ich mittel- und langfristig auf demokratiefeindliche Äußerungen reagieren?

Neben der unmittelbaren Reaktion müssen auch mittel- und langfristig die Bedingungen und Möglichkeiten der Schule für einen Umgang mit demokratiefeindlichen Äußerungen in den Blick genommen werden. Abschließend werden daher Vorschläge für eine demokratische Schulkultur, den Politikunterricht und das Kollegium skizziert.

1. Demokratische Schulkultur entwickeln

Die Entwicklung einer demokratischen Schulkultur wird häufig in Verbindung mit der Verhinderung von Rechtsextremismus und demokratiegefährdenden Einstellungen gebracht. Im Kern geht es darum, eine auf demokratischen Werten ruhende Kultur der Anerkennung und der Teilhabe zu etablieren, um demokratiefeindlichen Einstellungen und Verhaltensweisen präventiv entgegen zu wirken.[7] In berufsbildenden Schulen steht die Entwicklung einer demokratischen, gerade auch teilhabeorientierter Schulkultur vor einer Reihe vor Herausforderungen, die die allgemeinbildenden Schulen so nicht kennen: die wechselnden Anwesenheiten von Auszubildenden, die vielfältigen Schulformen und die damit verbundene Schulgröße erschweren die Durchführung von bekannten Konzepten. Gleichwohl können kleine Schritte (z. B. die gestärkte Sichtbarkeit der Schülervertretung, Fortbildungen für Lehrkräfte), schulformspezifische Angebote (z. B. Vollversammlungen in einzelnen Schulformen) und digital-gestützte Konzepte wie AULA (externer Link) dazu beitragen, die Schulkultur zu demokratisieren.

2. Politikunterricht nutzen

Der Politikunterricht als Fachunterricht in der dualen Ausbildung bietet darüber hinaus das Potenzial, gesellschaftliche und politische Themen mit den jungen Erwachsenen zu bearbeiten und ihre Fähigkeiten darin zu stärken[8]. Demokratiefeindlichen Äußerungen können durch die Vermittlung von Wissen, die Auseinandersetzung mit strittigen politischen Fragen und der Stärkung der eigenen Selbstwirksamkeitserwartung sowie dem Vertrauen in demokratische Institutionen begegnet werden. Aber auch die Phänomene Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit können zum Inhalt des Fachunterrichts werden. Thematisch kann der Politikunterricht – auch in der dualen Ausbildung – auf die Lebenswelt der jungen Erwachsenen reagieren und politisch über die Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen bildsam wirken[9].

3. Kollegien sensibilisieren und stärken

Mittel- und langfristig geraten auch die Bedingungen eines Umgangs mit demokratiefeindlichen Äußerungen in den Blick: Wie hoch ist das Wissen zu den relevanten Themenfeldern? Wie handlungssicher fühlen sich die Kolleg*innen in diesen Situationen? Ist das Kollegium für demokratiefeindliche Äußerungen und Diskriminierung sensibilisiert? Wer ist in der eigenen Institution ansprechbar und kann unterstützen? Welche Unterstützungsangebote außerhalb der eigenen Institution können abgerufen werden? Diese und weitere Fragen können helfen, die Bedingungen zu analysieren und darauf hinzuwirken, das eigene Umfeld zu sensibilisieren und zu stärken. Fort- und Weiterbildungen von außerschulischen Bildungsträgern sind so nicht nur als Bildungsangebote für die Schüler*innen zu verstehen, sondern auch als Angebot für das Kollegium.

Einen integrativen Ansatz verfolgt das Projekt „Starke Lehrer – starke Schüler“.  In diesem Projekt werden Lehrkräfte und pädagogische Fachpersonals professionalisiert, indem sie zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit systematisch fortgebildet, von Berater*innen im konkreten Umgang mit herausfordernden Situationen unterstützt und zu Ansprechpersonen in der eigenen Institution (z. B. als kollegiale Fallberater*innen) ausgebildet werden. Außerdem wird die Entwicklung einer demokratischen Schulkultur gefördert. Das Projekt wurde in den Bundesländern Sachsen (externer Link) und Brandenburg (externer Link) bereits über die Modellphase hinweg etabliert. Das hessische Modellprojekt (externer Link) befindet sich derzeit in der Abschlussphase.

 

Angaben zur Person: Philipp Klingler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Didaktik der politischen Bildung der Philipps-Universität Marburg. Dort ist er unter anderem für die Koordination des Projekts „Starke Lehrer – starke Schüler (Hessen)“ zuständig. Er arbeitet zu den Themenschwerpunkten Demokratiebildung und Lehrerprofessionalität, Digitalität und politische Bildung sowie zu politischer Europabildung. Maria Schneider ist ebenso wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Didaktik der politischen Bildung der Philipps-Universität Marburg. Dort ist sie für die Koordination des Projekts „Starke Lehrer – starke Schüler (Hessen)“ zuständig. Sie arbeitet zu den Themenschwerpunkten Religion in der Politik und politischen Bildung, Bildung und Kompetenzen und zu den Grundlagen der Didaktik der Sozialwissenschaften.

 


[1] Vgl. Müller, Jan-Werner (2016): Was ist Populismus? Ein Essay. Suhrkamp.

[2] Küpper, Beate & Zick, Andreas (2015): Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. In Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Dossier Rechtsextremismus. Online abrufbar unter https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/214192/gruppenbezogene-menschenfeindlichkeit/ [30.03.2024].

[3] Vgl. Kaletsch, Christa & Glittenberg, Manuel (2018): Empfehlungen zur Entwicklung eines betroffenensensiblens Umgangs mit Rassismus in der Schule – Täter – Opfer – Zuschauer: Das TOZ-Modell. In: Eva Georg & Tina Dürr (Hrsg.), „Was soll ich denn sagen?!" Zum Umgang mit Rechtsextremismus und Rassismus im Schulalltag. Beratungsnetzwerk Hessen, S.29-31, hier S. 29.

[4] Vgl. ebd., S. 30.

[5] Vgl. Behrens, Rico, Besand, Anja, & Breuer, Stefan (2021): Politische Bildung in reaktionären Zeiten: Plädoyer für eine standhafte Schule. Wochenschau Verlag, S. 292.

[6] Vgl. Kultusministerkonferenz (2021): Rahmenvereinbarung über die Berufsschule. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12.03.2015 i. d. F. vom 09.09.2021. Online abrufbar unter https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_03_12-RV-Berufsschule.pdf  [08.04.2024], S. 2.

[7] Vgl. May, Michael & Heinrich, Gudrun (2021): Rechtsextremismus pädagogisch begegnen. Bundeszentrale für politische Bildung, S. 774-85; Elverich, Gabi (2011): Demokratische Schulentwicklung: Potenziale und Grenzen einer Handlungsstrategie gegen Rechtsextremismus. VS Verlag für Sozialwissenschaften.

[8] Vgl. May, Michael & Heinrich, Gudrun (2021). Rechtsextremismus pädagogisch begegnen. Bundeszentrale für politische Bildung, S. 106-110.

[9] Vgl. Welsch, Fabian, Klingler, Philipp, Schneider, Maria, & Gessner, Susann (2023). Politische Bildung in der berufsbildenden Schule: Perspektiven von Schüler*innen in dualer Ausbildung auf ihren Politikunterricht. In: Politik Unterrichten, 38(1), 36-45.