„Der Betrieb lebt die Vielfalt der Gesellschaft vor“

Ein Gespräch mit Timo Koesling über demokratische Werte im Ausbildungsalltag.

Ein Protraitfoto von Timo Koesling

Wie demokratisch ist der Betriebsalltag für die Auszubildenden?

Bei uns im Betrieb dürfen die Auszubildenden im Alltag mitbestimmen, z.B. im Kleinen, wenn es darum geht, ob wir den Tag mit Theorie oder Praxis beginnen oder auch im Größeren, wenn es um Umbaumaßnahmen von Räumlichkeiten, Auftritten auf Schulmessen, dem Internetauftritt oder auch die jährliche Weihnachtsfeier geht.

Die Zielgruppe der Auszubildenden wird in der politischen Bildung leider eher vernachlässigt. Warum ist es wichtig, die Auseinandersetzung mit demokratischen Werten gerade auch in der Ausbildung zu platzieren?

In der Ausbildung wird jedem klar gemacht, wie wichtig es ist, in einer Demokratie zu leben und mitbestimmen zu können, wohin sich die Gesellschaft entwickelt. Die Auszubildenden merken in der Ausbildung schnell, dass politische Entscheidungsträger*innen durch Veränderungen von Rahmenbedingungen wie z.B. im Klimaschutz stark beeinflussen, wohin es mit dem eigenen Betrieb und somit auch den Mitarbeitenden geht. Sie sehen, dass es sehr wichtig ist, hier seine Mittel der Mitbestimmung in einer Demokratie zu nutzen und in diesen Angelegenheiten von seinem Wahlrecht, egal auf welcher Ebene, Gebrauch zu machen. Es geht nicht nur um Wahlen auf politischer Ebene, sondern eben direkt auch um Wahlen im Betrieb, bei denen z.B. Jugendsprecher*innen und Betriebsratsmitglieder gewählt werden, die sich um ihre Belange kümmern sollen.

Bei anstehenden Wahlen auf gesellschaftlicher Ebene thematisiere ich mit meinen Kolleg*innen deshalb die Wahlprogramme in Unterrichtseinheiten, da wir wissen, dass leider wenige Vorkenntnisse aus der Schule und meist auch wenige aus dem Elternhaus mitgegeben wurden, wenn die Auszubildenden zu uns stoßen. Hier merke ich immer wieder, wie viele jungen Menschen die Möglichkeiten ihrer Mitbestimmung nicht kennen und entsprechend nicht nutzen würden.

Die Standardberufsbildpositionen wurden letztes Jahr überarbeitet und umfassen beispielsweise auch den Punkt „Wertschätzung gesellschaftlicher Vielfalt“. Wie kann das im Betrieb praktiziert werden?

Ich lege mit meinen Kolleg*innen vom ersten Tag der Berufsausbildung an sehr viel Wert darauf, dass in jeder Gruppe von Auszubildenden, die bei uns im Betrieb z.B. in Bezug auf ethnische Herkunft und Nationalität sehr bunt gemischt sind, ein ausnahmslos respektvoller Umgang gelebt wird. Hierbei steht und fällt alles mit der Vorbildfunktion, die wir als Ausbilder*innen innehaben. Leider weiß ich, dass in einigen Betrieben das Ausbildungspersonal sich dieser Verantwortung, Vorbild zu sein, nicht bewusst ist oder leichtfertig damit umgeht.

Ich lege sehr viel Wert darauf, dass egal welche Religion, egal welche geschlechtliche Identität, egal welches Alter jemand hat, sich alle gleichbehandelt fühlen und lebe dies auch vor. Der Betrieb lebt die Vielfalt der Gesellschaft vor, indem er bunt ist und dies für die Beschäftigten normal ist. Alles andere wäre mitten im Ruhrgebiet wohl auch eher für alle etwas befremdlich.

Ausbilder*innen berichten immer wieder von hohen Leistungsanforderungen bei gleichzeitigem Zeitmangel in der Ausbildung. Welche Möglichkeiten können Sie Ihrer Meinung nach dennoch nutzen, um demokratische Werte zu vermitteln?

Es gibt Themen, für die man sich Zeit nehmen muss, wenn man, wie ich, davon überzeugt ist, dass die jungen Menschen mit mehr Wissen zu Demokratie und gestärkter demokratischer Haltung in das Arbeitsleben entlassen werden sollten. Wir als Gesellschaft profitieren von dem demokratischen Wissen der Beschäftigten, wenn sie selbst dazu in der Lage sind, zu erkennen und zu interpretieren, wofür die verschiedenen Parteien und ihre Programme stehen. Somit nehmen sie aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft teil.

In Bezug auf den Zeitmangel ist es leider wirklich so, dass wir in der Berufsausbildung dringend mehr Personal brauchen, um allem gerecht zu werden. Hierbei geht es nicht nur darum, den Standardberufsbildpositionen neben den beruflichen Inhalten gerecht zu werden, sondern auch darum, viele verschiedene Themen aufarbeiten zu müssen, die vorher auf der Strecke geblieben sind. Wir stellen jährlich fest, dass die Auszubildenden immer weniger Vorkenntnisse in den verschiedensten Themengebieten haben. Dadurch entsteht ein immer höherer Bedarf an Lernzeit pro Azubi. Auch ich kann leider bei Weitem nicht so viel Zeit für die neuen Themen aufbringen, wie ich und meine Kolleg*innen es gerne tun würden. Daher bleibt leider immer irgendein Thema in Teilen auf der Strecke, weil aus Zeitmangel wieder abgewogen werden muss, welches das wichtigere Thema in dem Moment ist. In vielen Betrieben, die ich kennengelernt habe, kommen aus dem Grund die neuen Themen der Standardberufsbildpositionen, die (noch) nicht direkt geprüft werden, viel zu kurz oder fallen ganz weg. Mein Wunsch ist es, dass die Unternehmen erkennen, wie wichtig die Basis der Berufsausbildung ist und dass sie dort personell aufstocken müssen, auch ohne vorher eine genaue Kosten-Nutzen-Analyse gemacht zu haben.

Manche Ausbilder*innen trauen sich vielleicht nicht zu, konfliktreiche Themen mit ihren Auszubildenden zu thematisieren. Was würden Sie ihnen als Ermutigung mitgeben, dennoch mehr Demokratie zu wagen?

Wer in einer so wichtigen Schlüsselstelle wie der Berufsausbildung arbeitet, darf, meiner Meinung nach, nicht zu bequem für das Ansprechen konfliktreicher Themen sein. Sobald man z.B. merkt, dass von Auszubildenden antidemokratische Werte gelebt und Verschwörungstheorien für wahr gehalten oder sogar verbreitet werden, muss man eingreifen und dies klar zum Thema machen, gerade dann, wenn es um solche herausfordernden Themen geht. Man braucht dabei Fingerspitzengefühl und muss lernen, wie man den Konflikt angeht. Aber dadurch, dass man handelt, lernt man mit der Zeit dazu und sammelt Erfahrungen, die dann dazu führen, sich beim nächsten Mal erneut zu trauen, etwas zu sagen. Die Fachlichkeit ist oftmals das, was der Betrieb mit der Teilnahme an Lehrgängen fördert. Viele Betriebe vernachlässigen aber leider die pädagogische Seite, die einem hier helfen könnte und vergessen diese ausreichend zu fördern. Eines hat mir bisher immer sehr geholfen, zuhören und sein Gegenüber zu Wort kommen lassen, um seine Sichtweise zu verstehen.

Welchen Vorteil haben auch Arbeitgeber*innen davon, wenn in der Ausbildung Zeit darauf verwendet wird, demokratische Werte und eine demokratische Kultur zu fördern?

Wenn die „frischen“ Facharbeiter*innen den Betrieb durch ihr neues Wissen bereichern und dieses Wissen dann bedeutet, dass die Mitarbeiter*innen Mehrheitsentscheidungen akzeptieren, sie sich solidarisch verhalten und ihren Kolleg*innen helfen, dann hilft dies indirekt dabei, einen reibungslosen Betriebsalltag zu gestalten. Außerdem können sie dann noch aktiv mitbestimmen, wohin der Betrieb und die Gesellschaft sich entwickelt und auch noch vieles mehr. Ich finde, hierbei liegt der Vorteil klar auf der Hand.

 

Angaben zur Person: Timo Koesling, 38 Jahre, ist Maschinenbautechniker, Leiter der technischen Ausbildung der TRIMET Aluminium SE in Essen und ehrenamtlicher Prüfer für Industriemechaniker*innen der IHK Essen, Mülheim und Oberhausen. Die TRIMET Aluminium SE in Essen hat knapp 50 Auszubildende in fünf Bildungsgängen. Seit 2016 werden auch geflüchtete Menschen erfolgreich ausgebildet. Dir TRIMET beschäftigt Mitarbeiter*innen aus rund 30 Nationen an seinen verschiedenen Standorten.