Geschlechtsbezogene Diskriminierung in der beruflichen Bildung und was man dagegen tun kann

Ein Gastbeitrag von Barbara Scholand

Barbara Scholand

Seit 1949 gilt der Grundgesetzartikel 3 (2): „Männer und Frauen sind gleichgestellt.“ Ergänzt wurde dieser Artikel 1994 um den Satz: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Diese für die Entwicklung der Demokratie wichtige Norm findet sich auch in den Schulgesetzen der Länder und somit kommt dem staatlichen Berufsbildungssystem eine wichtige Mitwirkungsaufgabe in Sachen Gleichstellung zu.

Geschlechtsbezogene Diskriminierung – Sexismus – in der beruflichen Bildung

Eine strukturelle Diskriminierung aufgrund von Geschlecht liegt in der historischen Entwicklung einer vergeschlechtlichten Berufsstruktur in Deutschland (in Verbindung mit zahlreichen Vorschriften wie bspw. im Bürgerlichen Gesetzbuch) begründet. Insgesamt sind bis heute im dualen Berufsbildungssystem Männer*[1] in der Überzahl, während Frauen* in schulischen Berufsausbildungen, die nicht dem Berufsbildungsgesetz unterliegen, überrepräsentiert sind.[2] Viele Berufe blieben Frauen* lange verschlossen, weil z.B. ausbildende Betriebe sich weigerten, Frauen aufzunehmen. Damit blieben junge Frauen* vor allem auf erziehende, pflegende und soziale Berufe verwiesen, die gemäß den gesellschaftlichen Normen als angemessener Ausdruck von ‚Weiblichkeit‘ galten und gelten. Auch junge Männer* sind durch Geschlechterstereotype in ihrer Berufswahl eingeschränkt, allerdings mit anderen Auswirkungen: Während die Benachteiligung von Frauen* bspw. im Gender Pay Gap[3] deutlich wird, werden negative Auswirkungen von z.B. Arbeits(zeit)strukturen für Männer* erst in neuerer Zeit thematisiert.[4]

Eine institutionelle Diskriminierung nach Geschlecht liegt dann vor, wenn etwa in Organisationen Ressourcen wie Raum, Zeit, Geld, Zugang zu Informationen und Anerkennung ungleich nach Geschlecht verteilt sind oder bestimmte (implizite) Regeln und Routinen für ein Geschlecht gelten, für ein anderes aber nicht.[5]

Am bekanntesten dürfte die intersubjektive sexistische Diskriminierung auf der Mikroebene des Alltagshandelns sein. Sexismus kann offen abwertende, aggressive, übergriffige und gewalttätige Formen annehmen; oder er kann sich in vermeintlich ‚frauenfreundlichem‘, ritterlich-protektionistischem Handeln zeigen, welches letztlich nur die andere Seite der Medaille repräsentiert. Weitere Varianten sind das Abstreiten sexistischer Diskriminierung und Feindseligkeit gegenüber Bemühungen um Gleichstellung sowie das stillschweigende Akzeptieren sexistischer Handlungen durch ‚Übersehen‘.[6]

Sexismus in seiner internalisierten Form wirkt sich auf das Selbstverständnis der Betroffenen dahingehend aus, dass sie sich selbst in ihren Möglichkeiten beschränken, stereotypes Verhalten, z.B. bei der Berufswahl, zeigen oder auch der Aussage zustimmen, dass Männer Frauen grundsätzlich überlegen seien. [7]

Wie kann geschlechtsbezogene Diskriminierung in der beruflichen Bildung abgebaut werden?

Um langfristig auf struktureller und institutioneller Ebene zu einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen* und Männern* am Arbeits- und auch Familienleben zu kommen, bedarf es genderkompetenter Lehrkräfte, die eine „klischeefreie Berufsorientierung“[8] umsetzen und an der Entstereotypisierung sowohl von Geschlecht als auch von Berufen ansetzen können. Eine Irritation von Stereotypen kann bspw. anhand einer Unterrichtseinheit zum ‚Geschlechtswechsels‘ von Berufen im geschichtlichen Verlauf erreicht werden.[9] Berufliche Tätigkeiten sind vielfältig, jeder Beruf erfordert mehrere Fähigkeiten. Daher sollte den Jugendlichen ein breites Spektrum an Aktivitäten, d.h.

  • handwerklich-technische,
  • künstlerisch-kreative,
  • untersuchend-forschende,
  • erziehend-pflegende,
  • führend-verkaufende sowie
  • ordnend-verwaltende[10]

nahegebracht werden, damit sie sich ausprobieren, ihre Stärken entdecken und somit ihr Berufswahlspektrum erweitern können.[11]

Der pädagogische Umgang mit intersubjektivem und internalisiertem Sexismus erfordert seitens der Schule und der Lehrkräfte ein klares Bekenntnis zu einer Schule ohne Sexismus. Für die Praxis braucht es Fortbildungen, in denen Wissen über die Wirkungsweise von Sexismus vermittelt wird und antisexistische Interventionen in Rollenspielen ausprobiert und reflektiert werden können.[12] So können sexistische Handlungsmuster leichter erkannt und in einer die Betroffenen stärkenden und die Tätlichen eingrenzenden Weise eingegriffen werden. Den Schüler*innen sollte am Übergang in die Arbeitswelt auch Wissen um Rechte und Handlungsmöglichkeiten zum Thema „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“ vermittelt werden.[13]

  • Genderkompetente Lehrkräfte sind in der Lage, auf der Basis von Wissen geschlechts- und berufsbezogene Stereotype zu reflektieren und in ihrer pädagogischen Arbeit mit Schüler*innen in Frage zu stellen bzw. zu irritieren.
  • Genderkompetente Lehrkräfte sind in der Lage, auf der Basis von Wissen sexistischer Diskriminierung entgegenzutreten; sie setzen sich praktisch für eine diskriminierungs- und gewaltfreie Schule und einen am demokratischen Ziel der Gleichstellung orientierten Unterricht ein.

 

Angaben zur Person: Barbara Scholand, M.a A. Erziehungswissenschaft, arbeitet als freiberufliche Bildungsreferentin zu den Themen Bildung, Erziehung & Geschlecht und als Trainerin für Gewaltprävention; bis 2022 Mitarbeit in verschiedenen Forschungsprojekten zu Bildung, Berufsorientierung und Gender.

 


[1] Der Text verwendet das Gender*, um deutlich zu machen, dass eine Geschlechtsbezeichnung wie „Mann/Männer“, „Frau/Frauen“ nichts darüber aussagt, wie sich die Personen selbst in geschlechtlicher Hinsicht verstehen.

[2] Vgl. Beicht, Ursula/ Walden, Günter: Berufswahl junger Frauen und Männer: Übergangschancen in betriebliche Ausbildung und erreichtes Berufsprestige, BIBB Report 4/2014, https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/show/id/7460.

[3] Angaben zum aktuellen Gender Pay Gap siehe unter https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-GenderPayGap/_inhalt.html.

[4] Vgl. z.B. Böhnisch, Lothar: Der modularisierte Mann, 2018.

[5] Analysen nach dem Gender Mainstreaming Prinzip können eine mögliche institutionelle Diskriminierung aufdecken – siehe die in Fußnote 7 genannte Broschüre.

[6] Vgl. bspw. Thiele, Anja: Sexismus, 2013, https://www.gender-glossar.de/post/sexismus; Becker, Judith C.: Subtile Erscheinungsformen von Sexismus, 2014, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/178674/subtile-erscheinungsformen-von-sexismus/.

[7] Zu den verschiedenen Ebenen von Sexismus vgl. Blickhäuser, Angelika/ Bargen, Hennig von: Gender-Mainstreaming-Praxis, Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), 2010, https://www.boell.de/sites/default/files/gender-praxis-aufl2.pdf.

[8] Umfangreiche Informationen zu Gender und Berufsorientierung bieten z.B. die Internetseiten https://www.klischee-frei.de/de/index.php, https://www.kompetenzz.de/ sowie https://www.ueberaus.de/.

[9] Beispiele zum ‚Geschlechtswechsel‘ von Berufen finden sich in der in Fußnote 11 genannten Broschüre.

[10] Die genannten Tätigkeiten beruhen auf dem RIASEC-Modell in der Person-Umwelt-Theorie von John L. Holland – Infos dazu in der Broschüre, die in Fußnote 11 genannt wird.

[11] Zahlreiche Hintergrundinformationen und Anregungen bietet die Broschüre von Faulstich-Wieland et al.: Gendersensible Berufsorientierung, 2017, Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-06577.

[12] Zum Abbau von Sexismus und zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit bieten u.a. Vereine Fortbildung, Beratung und Materialien zum Download an, z.B. https://www.dissens.de/materialien.

[13] Informationen zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz unter https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/lebensbereiche/arbeitsleben/sexuelle-belaestigung-am-arbeitsplatz/sexuelle-belaestigung-am-arbeitsplatz-node.html.