Intervention und Prävention gegen rechtsextremistische und demokratieablehnende Einstellungen und Handlungen an Einrichtungen der beruflichen Bildung

Ein Gastbeitrag von Michael Hammerbacher

„Rechtsextremismus“ und „Demokratie- und Menschenrechtsfeindlichkeit“ sind gesamtgesellschaftliche Phänomen, die auch in Schulen und in Einrichtungen der beruflichen Bildung der Bundesrepublik auftauchen können. Die Ausprägungen sind heute sehr vielfältig und variieren im Detail – im ländlichen Raum anders als in einer Großstadt, in einer Region, wo Rechtsextreme die Jugendkultur dominieren, anders als dort, wo diese in der Minderheit sind.

Wenn hier im Folgenden von Rechtsextremismus oder rechtsextremistischer Ideologie die Rede ist, wird einer gängigen sozialwissenschaftlichen Konsensdefinition gefolgt, die Rechtsextremismus als ein Einstellungsmuster versteht, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Weiter sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen[1]. Eine Person gilt demnach dann als rechtsextrem bzw. besitzt ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, wenn sie rechtsextremen Aussagen in allen oben genannten Dimensionen zustimmt.

Rechtsextreme Einstellungen sind jedoch kein Randphänomen. Sie reichen mitunter auch bis in die „Mitte“ der Gesellschaft, wie die aktuelle „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung[2] und die Leipziger Autoritarismus-Studie[3] belegen. Einzelne rechtsextreme Ideologiesegmente wie nationalistische, autoritäre, antisemitische, fremdenfeindliche und pro-nazistische Aussagen haben Zustimmungswerte von bis zu 27 %. Ungefähr jede vierte Person stimmt folgender Aussage zu: „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“[4]. Aber auch andere Demokratie- und menschenrechtsfeindliche Erscheinungsformen wie Sexismus, Homophobie, Muslimfeindlichkeit oder die Abwertung von Behinderten erreichen breite Bevölkerungsschichten. Dies spiegelt sich entsprechend in Berufsschulen und Ausbildungsbetrieben wider.

In der Auseinandersetzung mit rechtsorientierten Jugendlichen ist es zunächst wichtig festzustellen, in welchem Maße sie in der rechten Szene verankert sind und wie stark sie rechtsextreme Ideologien verinnerlicht haben.

Grundsätzlich können rechtsextrem orientierte Jugendliche in Kader, Aktivist*innen, Mitläufer*innen und Sympathisant*innen unterschieden werden. Als Kader wird eine Person verstanden, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild hat und ein taktisches und geschult rhetorisches Diskussionsverhalten an den Tag legt. Sie hat in einer rechtsextremen Gruppe eine zentrale Position und ist auch überregional vernetzt. Auch Aktivist*innen haben ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, sind z.T. geschult und können taktisch argumentieren. Sie sind organisiert und nehmen regelmäßig an Aktionen und Demonstrationen teil. Kader sowie Aktivist*innen treten in Berufsschulen jedoch nur selten in Erscheinung. Anders sieht es mit Mitläufer*innen sowie Sympathisant*innen aus. Auch sie haben ein rechtsextrem-orientiertes Weltbild und Teile der rechtsextremen Ideologie in ihr Denken übernommen. Dies ist aber in sich noch nicht gefestigt und wird noch nicht auf alle Lebensbereiche wie z.B. Religion, Essgewohnheiten und die Partnerwahl angewendet. Ihr Diskussionsverhalten ist noch offener. Die Teilnahme an rechtsextremen Aktivitäten ist eher sporadisch und „erlebnisorientiert“. Diese können aber auch strafbar und gewalttätig sein. Als Sympathisant*innen werden Personen bezeichnet, die alltagsrassistische Positionen und Parolen von rechtsextremen Organisationen wiedergeben. Das Diskussionsverhalten ist weniger offensiv als von Mitläufer*innen. Ihre politische Aktivität ist begrenzt; wenn überhaupt, beteiligen sie sich an legalen Aktionen und beobachten die rechtsextreme „Szene" eher aus der Distanz. Ihre Verbindung dazu erfolgt oft über persönliche Beziehungen. In diesen Fällen bestehen noch gute Chancen, in Schulen und Betrieb intervenierend einzugreifen.

Der Einstieg in den Rechtsextremismus findet häufig im Rahmen von Cliquen im Alter von ca. 13 - 15 Jahren statt. Türöffner dafür sind Social-Media und Videos im Internet sowie rechtsextreme Musik und andere jugendkulturelle Angebote. Die Schulumgebung kann maßgeblich darüber entscheiden, ob sich rechtsextreme Orientierungen festigen oder ob Jugendliche Erfahrungen sammeln, die den Einstieg in solche Ideologien bremsen oder sogar verhindern. Eine zentrale Aufgabe besteht darin, demokratische Einstellungen zu stärken, um gegen rechtsextreme, antidemokratische und menschenrechtsfeindliche Haltungen und Aktivitäten vorzugehen.

Dieser Aufgabe müssen sich die Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe stellen und für Ihre Einrichtung geeignete Präventions- und Interventionsstrategien erarbeiten. Die Strategien müssen individuell auf die Situation vor Ort angepasst sein. Gute Präventionsarbeit an berufsbildenden Einrichtungen ist eine langfristige Strategie, die sowohl die Förderung von Demokratie und Anerkennung als auch die argumentative Auseinandersetzung mit rechtsextremen und anderen demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Positionen an der Schule beinhaltet. Dies setzt voraus, dass die berufsbildenden Einrichtungen und vor allem die dort arbeitenden Pädagog*innen auch in der Lage sind, sich dieser Aufgabe zu widmen.

Nach den Erfahrungen des DEVI widmen sich Berufsschulen und Betriebe dem Thema häufig erst anlassbezogen, nachdem es einen konkreten Fall gab. Wir setzen uns dafür ein, ein Interventions- und Handlungskonzept unter Einbeziehung der Lehrkräfte, der Ausbilder*innen, der Schulsozialarbeit, der Eltern und von Schüler*innen präventiv zu erarbeiten. Neben der individuellen Ebene schaut unser Verein auch auf strukturelle Präventionsmaßnahmen für die gesamte Einrichtung. Hierzu beraten wir mit einem Modell, das neun Handlungsfelder an einer Berufsschule oder einem Ausbildungsbetrieb umfasst. Dazu gehören bspw. die Einführung von demokratiepädagogischen Maßnahmen (wie dem Klassenrat) und die Unterstützung von Schüler*innenvertretungen sowie die Einbindung der Themen in den Unterricht. Darüber hinaus zählen auch das Etablieren von klaren und einheitlichen Regelungen im Umgang mit rechtsextremen Vorfällen oder Diskriminierung und die Implementierung als Handlungsfeld im Schulprogramm und einem festen Bestandteil der Schul- und Betriebsentwicklung.

Die Lehrkräfte und Ausbilder*innen müssen sich für diese Aufgaben besonders qualifizieren und aktuelle Entwicklungen im Blick haben. Die Erfahrung von positiver Anerkennung und Wertschätzung, von gelungener Beteiligung, von diskursiven Umfeldern in Schulen und Betrieben wirken gegen rechtsextremistische und demokratieablehnende Haltungen bei Kindern und Jugendlichen. Gute Beziehungen zu Lehrkräften, Ausbilder*innen, Pädagog*innen und auch in der Familie helfen bei der Persönlichkeitsbildung. Dies unterstützt Jugendliche, Resilienz gegen rechtsextremistische Haltungen aufzubauen und um persönliche Einschnitte und Krisen besser zu verarbeiten, die als ein erster Auslöser für Radikalisierungsprozesse gelten.

Lehrkräfte und Ausbilder*innen sollten in der Lage sein, argumentativ, methodisch und persönlich auf Vorfälle reagieren zu können. Beim Eintreten für Demokratie und gegen Rechtsextremismus ist die Glaubwürdigkeit und Authentizität besonders wichtig. Persönliche Erzählungen, warum dies für sie wichtig ist, unterstützen dies, um die abstrakten Begrifflichkeiten mit Leben zu füllen. Ein gutes Basiswissen über demokratie- und menschenrechtsfeindliche Ideologien, ein Gespür für Ungleichwertigkeitsvorstellungen und ein Grundwissen über Radikalisierungsprozesse sind weitere wichtige Kompetenzen im Umgang mit ideologisierten Jugendlichen.

Rechtsextremismusprävention und Demokratiebildung sollte ein fester Bestandteil in jeder berufsbildenden Einrichtung sein. Die Maßnahmen müssen auf der Höhe der Zeit sein, also neuere gesellschaftliche Entwicklungen wie die veränderte Mediennutzung und andere neue Herausforderungen berücksichtigen. Die Zusammensetzung der Auszubildenden und der Berufsschüler*innen ist insbesondere in den Städten vielfältiger geworden und damit auch die Aufgaben und die Konzepte für die Demokratiebildung und Rechtsextremismusprävention.

Neben den ansteigenden Zustimmungswerten zu rechtspopulistischen und rechtsextremen Aussagen und Handlungen, rücken Einflüsse auf Schüler*innen und Eltern des türkisch geprägten Rechtsextremismus durch Organisationen wie die „Grauen Wölfe“ und ihnen nahestehenden Organisationen in den Vordergrund. Aber auch mit Phänomenen wie einen durch die russische Politik geprägten Autoritarismus und durch den Nah-Ost-Konflikt beförderten Antisemitismus werden wir in Berufsschulen und Betrieben konfrontiert. Hier stehen wir vor verschärften Herausforderungen, die wir in unserem Engagement gegen Rechtsextremismus in Zukunft stärker einbeziehen und die Präventionsmaßnahmen besser qualifizieren müssen.

 

Angaben zur Person: Als Leiter und Bildungsreferent arbeitet Michael Hammerbacher beim DEVI e.V. - Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung. Der Verein unterstützt berufsbildende Einrichtungen in Berlin und Brandenburg bei Ihrem Engagement gegen Rechtsextremismus, Diskriminierungen, Islamismus und bei der Demokratiebildung: https://demokratieundvielfalt.de/.

 


[1] Vgl. Stöss, Richard: Rechtsextremismus im Wandel. Berlin: Friedrich Ebert Stiftung (Hrsg.) 2010., S. 26ff.

[2] Vgl. Zick, Andreas, Küpper, Beate & Mokros, Nico (2023): Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23, Hrsg.: Friedrich-Ebert-Stiftung, Verlag J.H.W. Dietz Nachf.: Bonn. Abrufbar unter: https://www.fes.de/referat-demokratie-gesellschaft-und-innovation/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie-2023.

[3] Vgl. Decker, Oliver, Kiess, Johannes, Heller, Ayline & Brähler, Elmar (2022): Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen?, Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung & Otto-Brenner-Stiftung, Psychosozial-Verlag: Gießen. Abrufbar unter https://www.boell.de/de/leipziger-autoritarismus-studie.

[4] Vgl. Zick, Andreas, Küpper, Beate & Mokros, Nico (2023): Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23, Hrsg.: Friedrich-Ebert-Stiftung, Verlag J.H.W. Dietz Nachf.: Bonn, S. 65. Abrufbar unter: https://www.fes.de/referat-demokratie-gesellschaft-und-innovation/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie-2023.