Mit LOVE-Storm gegen Hass im Netz

Ein Gastbeitrag von Selma Gleißberg und Björn Kunter.

Eine Illustration in bunten farben einer figur, die vor einem PC-Bildschrim sitzt. Im Vordergrund sind kreisförmig mehrere bunte Symbole, beispielsweise eine Hand, die einen Mittelfinger zeigt, einen Daumen runter usw.

Eine Beleidigung unter dem eigenen Beitrag in Social Media, eine Abwertung eines geposteten Fotos oder die Androhung von Gewalt auf der eigenen Pinnwand – das ist der Alltag für viele Menschen in den Sozialen Medien. In der JIM-Jugendstudie von 2021 (externer Link) gaben 95% der jungen Nutzer*innen an mit Hass im Netz und digitaler Gewalt in Kontakt gekommen zu sein. 

Was ist digitale Gewalt?

Unter digitaler Gewalt oder auch Hass im Netz werden verschiedene Begriffe von online stattfindender Diskriminierung zusammengefasst. Eines der Phänomene ist die Online Hate Speech, die ins Online übertragene gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Sie ist die Diskriminierung von Personen als Teil einer Gruppe oder gegenüber ganzen Gruppen, die von einer strukturellen Machtdynamik der Gesellschaft betroffen sind. Sie unterscheidet sich von anderen Formen wie Cybermobbing, der andauernden Herabwürdigung einer Person aus einer Gruppendynamik heraus, oder Cyberstalking, dem Verfolgen und Bedrohen einer Person mit digitalen Mittel.

Diese drei Beispiele digitaler Gewalt zeigen: Gewalt im Online ist vielfältig und kann alle Menschen treffen. Dabei kann digitale Gewalt 

  1. mehr Menschen erreichen und dadurch beleidigen und herabwürdigen als offline getätigte Diskriminierungen 
  2. weltweit abgerufen werden und damit weltweit Menschen diskriminieren
  3. sich in visuellen Darstellungen zeigen, die einfach verstanden und emotionaler wirken können
  4. durch externe Speicherung und Verbreitung durch Dritte auch nach der Löschung eines Beitrags erhalten bleiben

Befeuert werden Diskussionen dabei häufig durch den Effekt der Online-Enthemmung. Dabei fördern fehlender Augenkontakt, zeitversetzte Reaktionen, missverständliche Sprache etc., dass sich Personen schneller in Situationen und Emotionen hineinsteigern und ihrem Hass freien Lauf lassen. In der Folge kommt es zu verbalen Entgleisungen in Messengergruppen oder Kommentarspalten. Dabei entsteht schnell eine Dynamik und Kommunikationskultur, die Hass fördert und in der Menschen angegriffen, verletzt und aus digitalen Räumen verdrängt werden. Digitale Gewalt kann dadurch Vorurteile und Stereotypen verstärken und diskriminierendes Denken und Radikalisierung begünstigen.

Trotz einer Reihe von Verbesserungen bei der Löschung und Verfolgung hasserfüllter Inhalte, durch Plattformen und Behörden fühlen sich die Betroffenen von digitaler Gewalt in der Regel alleingelassen.

LOVE-Storm will angegriffene Personen stärken und alle die unterstützen, die etwas gegen den Hass im Netz tun wollen. Mit Trainings, Online-Rollenspielen, Materialien und Coaching unterstützen wir Jugendliche, Social Media Teams und Pädagog*innen dabei, eigene Wege gegen den Hass zu erarbeiten.

Hass stoppen (eindämmen)

Die erste Reaktion auf Hass im Netz ist Überforderung. Im Schockmoment wollen viele etwas gegen den Hass unternehmen. Sie wissen aber nicht, was sie tun können und scrollen weiter. Für die Betroffenen ist das fatal. Gerade Jugendliche sind stark verunsichert, wenn Hassangriffe einfach stehen bleiben, obwohl doch „Alle“ (oftmals auch Bekannte und „Freund*innen“) das gelesen haben.

Damit Betroffene und ihr Umfeld Hassangriffe im Netz stoppen oder zumindest eindämmen und abmildern können, ist es nötig:

  1. die Angegriffenen zu stärken,
  2. Zuschauende gegen den Hass zu mobilisieren
  3. den Angreifenden gewaltfrei Grenzen zu setzen.

Die Angreifenden stehen dabei bewusst an letzter Stelle, damit sich nicht alles um die Hater*innen und ihre Provokationen dreht, sondern die Perspektiven der Betroffenen in den Fokus geraten.
Für alle drei Ziele haben wir im LOVE-Storm Trainingshandbuch (externer Link) eine Reihe von Strategien und Techniken beschrieben. Damit diese eintrainiert und so im Ernstfall auch angewendet werden, hat LOVE-Storm ein Online-Rollenspiel-Tool entwickelt, mit dem die Teilnehmenden von Trainings ihre eigenen Antworten entwickeln und ausprobieren können.

Hassfreie Netz-Räume schaffen

Über den Umgang mit einzelnen Hassangriffen hinaus haben Social Media Teams und andere Betreiber*innen von digitalen Räumen die Möglichkeit Hass in ihren Netzräumen auch systematisch einzudämmen. Jugendliche und erwachsene Moderator*innen von Messengergruppen oder anderen Social Media-Seiten können präventiv eine positive Kommunikationskultur schaffen und einüben. Online können so sichere(re) Räume entstehen, in denen Diskriminierung und Angriffe minimiert und schnell bearbeitet werden können.

Handlungsstrategien bei Hass im Netz:

1. Schau nicht weg!

Angegriffene leiden stärker, wenn Hass einfach stehengelassen wird, während Angreifende sich bestärkt fühlen. Außerdem werden Zuschauende abgeschreckt, selber zu reagieren und akzeptieren Hass als soziale Norm. Schon ein „Nein, das sehe ich anders“ kann diese Mechanismen durchbrechen.

2. Achte auf Dich selbst

Wenn Du angegriffen wirst, mache Dir bewusst, dass sich der Hass nicht gegen Dich richtet, sondern gegen ein Fantasiegespinst im Kopf der Angreifenden.

Nimm Rücksicht auf Deine eigene Belastbarkeit. Entscheide Dich bewusst, wann und mit wieviel Energie Du auf Hassangriffe eingehen willst und ob Du Dich sicher genug fühlst, um unter deinem Namen oder lieber anonym agieren möchtest.

3. Stärke die Angegriffenen

Mit Hassangriffen sollen Meinungen und Menschen aus dem Netz verdrängt werden. Unterstütze die Angegriffenen, damit sie dabeibleiben und mitreden können.

Du kannst Angegriffenen öffentlich anbieten per Privatnachricht miteinander zu reden. Wenn sie einwilligen, frage wie Du sie am besten unterstützen kannst.

4. Unbewusste Diskriminierung

Diskriminierung ist für nicht Betroffene häufig unsichtbar, da viele Vorurteile tief in den Strukturen der Gesellschaft verankert sind und als Tatsachen und „normal“ wahrgenommen werden.

Wenn Dich eine Person darauf hinweist, dass Du etwas diskriminierendes gesagt hast: Hör zu. Entschuldige Dich bei der Person und frage, ob Du etwas für sie tun kannst.

Informiere Dich online oder an öffentlichen Stellen und Initiativen über die Form der Diskriminierung. Es ist nicht die Aufgabe der betroffenen Person, dich zu informieren, warum diskriminierendes Verhalten verletzend war.

5. Niemals alleine gegen Hass im Netz

Wenn Du oder Andere angegriffen werden, bitte Freund*innen und Zuschauende um Unterstützung. Gib ihnen möglichst konkrete Tipps wie sie helfen können.

Siehst Du andere Kommentator*innen, die positiv reagieren und sich Hasskommentaren entgegenstellen, unterstütze sie. So könnt Ihr den Hass gemeinsam stoppen und sie werden sich weiter für ein gutes Miteinander einsetzen.

Inzwischen gibt es eine Reihe von Beratungsstellen, Meldeverfahren und Anzeigemöglichkeiten, über die Du weitere Hilfe erhalten kannst.
Eine aktuelle Übersicht findest Du unter love-storm.de/beratung-bei-hass-im-netz.

6. Gib Angriffen keinen Raum

In einem Internetchat ist es fast unmöglich, Menschen zu überzeugen. Wichtiger ist es, deutliche Grenzen setzen! Mache Angreifenden klar, dass ihr Verhalten nicht akzeptiert wird. Gehe nur in einen Dialog, wenn die Angriffe aufhören.

Melde Vorfälle auf der Plattform, blockiere sie oder zeige sie bei einer öffentlichen oder anonymen Meldestelle an.

 

Angaben zu den Personen: Selma Gleißberg ist Erziehungswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt interkultureller Kommunikation und Bildung und Expertin zum Thema Hate Speech. Ihre Schwerpunkte liegen in der Analyse der Reproduktion von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der politischen Bildung und struktureller Machtdynamiken im Diskurs. Björn Kunter ist gelernter Diplompädagoge und Trainer für gewaltfreie Konfliktaustragung. Er war 2014 selbst Ziel eines Shit-Storms. Aus der eigenen Erfahrung, sich damals „allein gelassen“ gefühlt zu haben, gründete er 2017 die LOVE-Storm Trainingsplattform, um Zivilcourage ins Netz zu bringen. 

LOVE-Storm (externer Link) trainiert jährlich über 1000 Menschen, wie sie Hass im Netz besser stoppen können. Schwerpunkt ist das Training von Lehrenden und anderen Multiplikator*innen, die eigenständige Bildungsangebote gegen Hate Speech und Cybermobbing durchführen und dazu das LOVE-Storm Online Rollenspiel Tool (externer Link) einsetzen wollen. Am 4. Oktober eröffnet LOVE-Storm eine neue Bildungsplattform mit weiteren Angeboten und Materialien für Lehrkräfte und Betroffene von Hass im Netz.

 

Literatur:

Feierabend, Sabine / Rathgeb, Thomas / Kheredmand, Hediye / Glöckler, Stephan: JIM-Studie 2021. Jugend, Information, Medien, Stuttgart: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs), 2021. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2021/JIM-Studie_2021_barrierefrei.pdf, Zugriff am 19.08.2022.

 

Weiterführende Links: