„Wenn die Haltung stimmt, dann braucht es Handwerkszeug“

Ein Gespräch mit Sandro Witt über Rechtsextremismusprävention in der betrieblichen Ausbildung

Die Propaganda rechtsextremer Gruppen und Parteien zielt auf die Spaltung unseres vielfältigen und demokratischen Miteinanders. Zudem zeigen die sogenannten „Mitte-Studien“ regelmäßig, dass rechtsextreme Einstellungen in unserer Gesellschaft weit verbreitet sind – auch in der Arbeitswelt. Welche Formen von Rechtsextremismus begegnen uns im Arbeitsalltag?

Die Arbeitswelt hat für das demokratische Zusammenleben eine entscheidende Bedeutung: Hier verbringen viele Menschen einen Großteil ihrer Zeit und treffen auf Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen. Im Kern finden sich dementsprechend alle Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auch in der Arbeitswelt wieder. Rassistische und ausgrenzende Einstellungen genauso wie antisemitische Verschwörungserzählungen. Positiv mag ich aber auch erwähnen, dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung findet, dass sich Unternehmen nicht ausreichend für Werte wie Vielfalt und Respekt in der Gesellschaft einsetzen[1]. Die Arbeitswelt ist also ein nicht unwesentlicher Ort gesellschaftspolitischer Auseinandersetzung.

Es ist Aufgabe der Ausbilder*innen, auf antidemokratische und rechtsextreme Haltungen zu reagieren und diesen entgegenzuwirken. Wie können Ausbilder*innen nachhaltig gestärkt werden, um demokratiefeindlichen und extrem rechten Haltungen junger Auszubildenden (präventiv) zu begegnen?

Ich gehe bei meiner Antwort jetzt einfach von der idealen Situation aus, dass alle Ausbilder*innen eine grundlegend positive Haltung zu unserer liberalen Demokratie haben und Werte wie Vielfalt und Gleichwertigkeit im Herzen tragen. Außerdem wissen alle Ausbilder*innen um die Funktionsweisen der Demokratie und haben ausreichend Zeit sich um die Ausbildung zu kümmern. Das wäre eine sehr gute Basis, um den Auszubildenden diese existenziell wichtigen Werte dann, neben dem allgemeinen Lernstoff, zu vermitteln. Wenn die Haltung stimmt, dann braucht es Handwerkszeug. Woran erkenne ich als Ausbilder*in, was eine antidemokratische oder rechtsextreme Haltung ist? Woran erkenne ich als Ausbilderin eine Verschwörungserzählung? Hier braucht es ständige Weiterbildung und die Ausbilder*innen brauchen dafür entsprechende Zeit. Eine letzte, sehr entscheidende Anmerkung. Aus wissenschaftlichen Erhebungen[2] wissen wir, dass es eine positive Wirkung hat, wenn Menschen ihr Arbeits- und Ausbildungsumfeld selbstbewusst mitgestalten können. Wenn also Ausbilder*innen den Auszubildenden die Möglichkeit bieten, selbstwirksam mitzugestalten, dann stärkt das die Demokratiefähigkeiten und das Selbstbewusstsein der Auszubildenden. Und das ist es doch, was alle Ausbilder*innen eigentlich für ihre Schützlinge wollen.

Beim Thema Rechtsextremismus sind wir alle gefragt – wie können auch junge Auszubildende selbst aktiv werden?

Junge Menschen sind doch unfassbar aktiv. Sei es in den sozialen Medien oder offline im Sportverein, der Feuerwehr oder hoffentlich bei der Gewerkschaftsjugend. Als Mensch, der über die Jugendverbandsarbeit großartige Erfahrungen der eigenen Wirksamkeit machen konnte, empfehle ich dringend diese wichtige Arbeit nicht zu kürzen, wie es der Haushaltsentwurf der Ampelparteien vorsieht. Im Gegenteil. Es braucht eine massive finanzielle Förderung der Jugendverbandsarbeit. Um den Kern der Frage dann aber auch zu beantworten. Die Herausforderungen für Auszubildende sind nicht kleiner als für alle anderen Menschen in der Arbeitswelt. Um rassistische Haltungen zurückzudrängen, brauchen wir auch hier Haltung, Wissen und demokratisches Handwerkszeug, um positive Wirksamkeitserfahrungen erleben zu können. Diese Erfahrung zu machen, bspw. gemeinsam die Ausbildungsbedingungen verbessert zu haben, macht resilienter gegen populistische oder rassistische Ressentiments und gibt volles Selbstbewusstsein. Und selbstbewusste Menschen, die Rassismus und allen weiteren menschenfeindlichen Aussagen eine deutliche Abfuhr erteilen. Die braucht es dringender denn je.

Wie unterstützen Sie mit dem Programm „Unsere Arbeit: Unsere Vielfalt. Initiative für betriebliche Demokratiekompetenz“ die Lehr- und Fachkräfte in der betrieblichen Ausbildung, um gegen Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit in der Arbeitswelt vorzugehen? Mit welchen Angeboten und Ansätzen bringen Sie das Thema auf die Tagesordnung?

Oberste Grundlage des von uns als DGB auf Bundesebene koordinierten und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales finanzierten Programmes ist, dass alle Projekte auf Betriebsebene bzw. in Berufsschulen unmittelbar umgesetzt werden, um die arbeitsweltliche Dimension in der Auseinandersetzung mit Rassismus und anderen ausgrenzenden Ideologien gezielt in den Blick zu nehmen. Wir haben aber im Bundesprogramm eine so starke Träger- und Angebotsvielfalt, dass es keine allgemeingültige Antwort auf die Frage geben kann. Unsere Projekte organisieren in einem Modellprogramm aufsuchende politische Bildungsarbeit mit unterschiedlichsten Ansätzen, die auf der Vermittlung von Demokratiekompetenzen basieren. Das umfasst Einstellungen und Werte genauso wie das Erlernen praktischer Handlungsfertigkeiten. Es geht um Anerkennung von Vielfalt und Gleichwertigkeit, Ambiguitätstoleranz, Kompromissfähigkeit, Konflikt- und Dialogfähigkeit, reflektierte Selbsterkenntnis und informierte Offenheit. All das lässt sich trainieren und ich kann nach etwas mehr als 2 Jahren sagen. Das ist auch alles dringend notwendig und hätte schon vor 20 Jahren kontinuierlich gemacht werden müssen.

 

Angaben zur Person: Sandro Witt studierte nach seiner Ausbildung an der Akademie der Arbeit in Frankfurt am Main. 2014 wurde er als Landesleiter des DGB Thüringen und stellv. Vorsitzender des DGB Hessen- Thüringen gewählt. Nach 8 Jahren in der Führung des DGB Hessen – Thüringen entschied er persönlich, sich neuen Herausforderungen zu widmen. Als Projektleiter führt er seit Ende 2021 das DGB-Team und verantwortet und repräsentiert die DGB Initiative Betriebliche Demokratiekompetenz im Innen- und Außenverhältnis.

 


[1] Vgl. hierzu die repräsentative Umfrage von Gesicht Zeigen e.V., EY Deutschland und Civey, die im Sommer 2020 durchgeführt wurde: https://www.gesichtzeigen.de/wp-content/uploads/2020/10/studie_rassismus_wirtschaft_arbeit_gesichtzeigen_ey_civey.pdf

[2] Die letzte Studie, die das sehr deutlich belegt, ist die Leipziger Autoritarismus-Studie 2022: https://www.boell.de/de/leipziger-autoritarismus-studie.