„Wir fungieren sozusagen als ‚Stoppschilder‘“

Ein Gespräch mit der Berufsschullehrerin Leah Leonhardt über Handlungsmöglichkeiten gegen Hate Speech an Berufsschulen.

Ein Portraitfoto von Leah Leonhardt. Sie trägt einen einen grauen Blazer und eine hellblaue Bluse. Sie trägt die dunklen Haare offen und lacht in die Kamera.

Welche Berührungspunkte haben Sie als Berufsschullehrkraft mit Hate Speech in Ihrem Berufsalltag?

Wir kommen auf verschiedene Weise mit Hate Speech in Kontakt. Zum einen sind wir als Lehrer*innen selbst davon betroffen. Es kommt vor, dass Schüler*innen schlechte Bewertungen unserer Schule und des Internats auf Google hinterlassen. Darin wird mitunter über einzelne Lehrer*innen, Betreuer*innen und sonstiges Personal gelästert, teilweise sogar mit unpassenden Anspielungen, gemeinen Auslassungen über Äußerlichkeiten und aggressiver Wortwahl.

Außerdem gibt es einige Vorfälle von Verletzungen des Rechts am eigenen Bild sowohl unter den Schüler*innen selbst als auch gegenüber Lehrer*innen. Es gibt Fälle, dass Auszubildende sich kompromittierende Fotos von Kolleg*innen zuschicken. Der Unterricht wird leider nicht als geschützter Raum respektiert: Es kommt vor, dass Fotos und kurze Videos von Lehrer*innen oder Mitschüler*innen gemacht werden. Wir hatten sogar den Fall, dass mutmaßlich Upskirting-Fotos von einer Lehrerin gemacht wurden.

Was mir besonders auffällt ist, dass Hate Speech sich auch in der Alltagssprache der Schüler*innen ausdrückt, nicht nur im digitalen Raum. Der Umgangston ist stark von Kraftausdrücken und Beleidigungen geprägt. Ich empfinde das als Verrohung der Sprache. Durch ein fehlendes oder schwächer gewordenes gesellschaftliches Korrektiv, ist der Sprachstil in der Peergroup jedoch als normal anerkannt. Leider fällt mir auf, dass es wenig Sensibilität für die (Aus-)Wirkungen von Sprache gibt.

Manchmal fühlt es sich an wie ein Kampf gegen Windmühlen, da derartige Probleme zunehmen.

Welche Rolle können Sie als Lehrkraft einnehmen, wenn Sie mitbekommen, dass Ihre Schüler*innen sich online an Hate Speech beteiligen oder davon betroffen sind?

Unsere Aufgabe ist es, uns dem entgegenzustellen. Wir fungieren sozusagen als „Stoppschilder“, indem wir Grenzen aufzeigen. Selbstverständlich gehen wir dann in Einzelgespräche sowohl mit den Betroffenen als auch mit den angeblichen Täter*innen. Außerdem thematisieren wir die Vorfälle im Klassenverband oder in Kleingruppen, je nach Situation.

Der verantwortungsbewusste Umgang mit Medien ist sogar Teil des Lehrplans. Leider kommt genau dieses Thema im Unterricht oft zu kurz – ganz einfach aufgrund fehlender Zeit.

Wir Lehrer*innen tauschen uns auch immer untereinander aus und sammeln gemeinsam Ideen bezüglich der Handhabung. Nichts desto trotz ist das Thema aufgrund der schieren Menge an Vorfällen und der geringen Handlungsmöglichkeiten eine enorme Belastung.

Wenn Täter*innen sich nicht der Schwere und der Folgen ihrer Handlungen bewusst sind und kein Schuldempfinden zeigen, müssen wir zunächst daran ansetzen, solche Verhaltensweisen zu problematisieren. Dann müssen wir erst einmal klarmachen, was denn das Schlimme an der Aussage oder dem Verhalten ist, also eine Abwertung als solche erst einmal identifizieren. Wir zeigen auch auf, welche Folgen und Konsequenzen das für Betroffene hat. Das nimmt sowohl im Unterricht als auch darüber hinaus viel Zeit in Anspruch.  

Außerdem reden wir auch mit den Betroffenen und haben ein offenes Ohr für sie.

Welche Unterstützung brauchen Sie selbst für einen besseren Umgang mit dem Thema?

Zunächst ist wichtig, dass die Bagatellisierung aufhört. Das ist ein gesamtgesellschaftlicher Aspekt. Es erfordert von jedem mehr Zivilcourage, im richtigen Moment zu sagen: „Das ist nicht witzig, ich finde das nicht gut!“. So etwas kann jeder erwidern, sei es Arbeitskolleg*innen, Ausbilder*innen, Mitschüler*innen, Lehrer*innen, Eltern etc.

Ich wünsche mir außerdem mehr rechtliche Unterstützung. Ab wann und wie kann man rechtlich gegen solches Fehlverhalten vorgehen? Das heißt, mehr Information und Aufklärung über rechtliche Folgen wäre wichtig. Denn die erzieherischen Maßnahmen, die eine Schule hat, sind alleine nicht immer wirkungsvoll. Hinzu kommt, dass die Schüler*innen an einer Berufsschule zum Großteil erwachsen sind. Hier könnten Sensibilisierungs-Workshops der Polizei (vielleicht auch mithilfe von Rechtsanwält*innen, die reale Fälle darstellen) helfen, in denen den Schüler*innen Wissen über die Strafbarkeit von bestimmten Handlungen vermittelt wird und sie darüber hinaus in Bezug auf ihr eigenes Verhalten sensibilisiert werden.

Das Wichtigste ist, das Gewissen der Leute zu erreichen. Es geht ja nicht nur um Regeln und Gesetze. Wir wollen doch, dass junge Menschen sich gut verhalten, weil sie es wollen und nicht nur aus Angst vor Strafe! Dafür ist nicht nur die Schule alleine verantwortlich, sondern auch die elterliche Erziehung.

Was können Sie insgesamt als Kollegium an Ihrer Schule tun, um dem Problem langfristig zu begegnen?

Ich habe für mich persönlich die Entscheidung getroffen, keinerlei Social-Media-Accounts zu besitzen, weil ich ganz einfach meinen Schüler*innen keine Plattform für Hate Speech, Cybermobbing etc. bieten will. Aber das ist natürlich nicht der Rat, den ich jedem Lehrer und jeder Lehrerin geben will. Es ist eher schade, dass solche Maßnahmen notwendig sind.

In Klassen oder an Schulen, in denen es deutlich weniger Schüler*innen gibt, wie es bei uns der Fall ist, ist besonders das Verhalten der Lehrer wichtig: Von den männlichen Kollegen erwarte ich eine Vorbildfunktion im Hinblick auf respektvollen und gleichberechtigten Umgang mit Lehrerinnen und Schülerinnen. Sie müssen das gerade den männlichen Azubis gegenüber vorleben, sensibel gegenüber Frauenfeindlichkeit sein und direkt klare Kante zeigen. Das funktioniert bei uns sehr gut, ist aber natürlich ein dauerhafter Prozess.

Außerdem finde ich einheitliche Regeln wichtig. Ein einheitliches Vorgehen erhört die Chance auf eine Verhaltensänderung seitens der Täter*innen. Ich würde mir wünschen, dass dieses Thema zu einem Pflichtprojekt für Schüler*innen gemacht wird. So würde es aus dem Rahmen des Unterrichts herauskommen. Dort müssen viele Lehrer*innen nämlich einsam auf verlorenem Posten kämpfen. Das kostet viel Kraft und dem fühlt sich nicht jede*r zu jeder Zeit gewachsen. Außerdem würde die Unterrichtszeit dann nicht mehr für den Fachunterricht fehlen.

Wichtig ist mir, dass gerade die Schulleitung hier geschlossen hinter den Opfern steht und eine Null-Toleranz-Politik lebt, egal ob es um betroffene Lehrer*innen oder Schüler*innen geht.

Von Seiten der Ausbildungsbetriebe muss ebenfalls die volle Unterstützung da sein. Die Azubis dürfen nicht vermittelt bekommen, das Thema werde im Betrieb lockerer gesehen als in der Schule. Hilfreich ist, wenn auch Betriebe sich eine Strategie zurechtlegen und der Schule und den Schülern*innen gegenüber transparent machen. So kann man auf diesem Gebiet besser zusammenarbeiten.

Auf jeden Fall ist es kein Thema, an das man irgendwann mal einen Haken setzten kann. Wir müssen alle zusammen dranbleiben, es als gemeinsames Dauerprojekt sehen – für das Kollegium, die Schulleitung, die Ausbildungsbetriebe.

 

Angaben zur Person: Studienrätin Leah Leonhardt ist seit 2015 Gymnasiallehrerin und seit 2020 Berufsschullehrerin.