„Wir stehen für Problemlösungen im Sinne der Arbeitnehmer*innen und wollen auch die Gleichstellung der Geschlechter vorantreiben"

Ein Gespräch mit Anja Weusthoff über geschlechtsspezifische Diskriminierung in der Arbeitswelt

Anja Weusthoff

Auch 2023 berichtet eine Vielzahl an Menschen von Diskriminierungserfahrungen am Arbeitsplatz aufgrund ihres Geschlechts. Wie äußern sich Formen von geschlechtsspezifischer Diskriminierung im Berufsalltag?

Es geht los bei der Bezahlung: Frauen verdienen im Durchschnitt noch immer 18 Prozent weniger pro Stunde als Männer. Das liegt u.a. daran, dass frauendominierte Berufe schlechter entlohnt werden als solche, in den vor allem Männer arbeiten: Die Pflegefachkraft verdient wesentlich weniger als der Ingenieur - obwohl die Anforderungen in beiden Berufen gleich hoch sind. Aber Frauen werden nicht nur für gleichwertige, sondern oft auch für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt. Das hat uns ein Fall vor dem Bundesarbeitsgerichts Ende Februar eindringlich vor Augen geführt: Die betroffene Frau erhielt trotz gleicher Qualifikation ein deutlich geringeres Entgelt als ihre Kollegen mit der Begründung, dass sie bei ihrer Einstellung „schlechter verhandelt“ hätte. Das ließ das Gericht jedoch nicht gelten und gab der Klägerin Recht – ein starkes Zeichen für mehr Entgeltgerechtigkeit.

Darüber hinaus haben Frauen bei Beförderungen oft das Nachsehen - vor allem, wenn sie Mütter sind. Dann heißt es: „Kind und Karriere? Das schafft sie nicht!“. Denn: Frauen wird noch immer die Haupt­verantwortung für die unbezahlte Sorgearbeit zugeschrieben, also für die Kinderbetreuung, die Pflege von Angehörigen und die Hausarbeit. Angesichts der vielerorts schlechten Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stecken Mütter deshalb beruflich oft zurück und gehen in Teilzeit. Das wirkt sich negativ auf die Löhne der Frauen aus und schmälert ihre Renten erheblich, sodass vielen im Alter Armut droht. Aber die Benachteiligung in der Arbeitswelt drückt sich nicht nur in der Bezahlung oder in der ungleichen Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit aus, sondern viel zu oft auch in sexualisierter Belästigung. Laut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle ist in Deutschland jede achte Frau am Arbeitsplatz davon betroffen. Diese Zahlen sind alarmierend und zeigen, dass wir von tatsächlicher Gleichstellung noch immer weit entfernt sind.

Wenn geschlechtsspezifische Diskriminierung im Arbeitsleben zur täglichen Erfahrung vieler Beschäftigten zählt, inwiefern wird sie denn auch zum Thema gemacht?

Als Gewerkschaften wissen wir nur zu gut um die Benachteiligungen, die Frauen in der Arbeitswelt erfahren. Und wir setzen uns aktiv dafür ein, dass sich das ändert. Denn unser Ziel einer solidarischen und gerechten Gesellschaft erreichen wir nur, wenn Frauen den Männern in allen Lebensbereichen tatsächlich gleichstellt sind. Aber was bedeutet das konkret mit Blick auf die Arbeitswelt? Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen: In der Nahrungsmittelindustrie, dem Gaststätten- und Hotelgewerbe macht sich die NGG seit einigen Jahren für mehr Lohngerechtigkeit stark. Nach dem Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ hat sie sich vorgenommen, jeden ihrer 3500 Tarifverträge auf geschlechtsspezifische Diskriminierung zu prüfen und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung des innerbetrieblichen Gender Pay Gaps. Die IG Metall sensibilisiert in ihren Betrieben aktiv für das Thema sexuelle Belästigung und Gewalt und unterstützt Betriebsrät*innen beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen zu partnerschaftlichem Verhalten am Arbeitsplatz. Und die GEW hat sich eine feministische Zeitpolitik auf die Fahne geschrieben, denn eine gerechtere Aufteilung von unbezahlter Sorgearbeit kann nur gelingen, wenn Arbeitszeiten mit Sorgeverantwortung vereinbar sind. Gerade beim Thema Arbeitszeitverkürzung und Arbeitszeitsouveränität für die Beschäftigten stoßen wir bei den Arbeitgebern jedoch auf große Widerstände. Dabei sind familienfreundliche Arbeitszeiten zentral, um insbesondere Müttern eine größere Erwerbsbeteiligung zu ermöglichen und das inländische Fachkräftepotenziale stärker auszuschöpfen. Das ist nicht nur im Interesse vieler Frauen, sondern auch im Sinne der Arbeitgeber.

Wo sehen Sie Handlungsmöglichkeiten der Politik, um die Gleichberechtigung aller Geschlechter in (Ausbildungs-)Betrieben zu fördern?

Die Politik ist dafür verantwortlich, durch entsprechende Gesetze die Rahmenbedingungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit in den Betrieben zu schaffen. Ein wichtiger Baustein für mehr Gleichstellung auf betrieblicher Ebene ist beispielsweise die Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie. Das in Deutschland geltende Entgelttransparenzgesetz hat sich als zahnloser Tiger erwiesen und muss entsprechend nachgeschärft werden. Damit Lohnungerechtigkeit systematisch offengelegt und überwunden werden kann, ist die Einführung einer Berichtspflicht für Betriebe entscheidend. Ein weiterer Baustein ist die ILO Konvention 190 zur Beseitigung von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz. Nachdem in Deutschland nun endlich die Ratifizierung des internationalen Übereinkommens auf den Weg gebracht wurde, muss in einem nächsten Schritt auch die konsequente Umsetzung erfolgen. Ein dritter Punkt ist die Stärkung der Mitbestimmung in den Betrieben durch eine Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes. Der DGB hat hierzu einen Reformentwurf vorgelegt, mit dem auch die Gleichstellung von Frauen und Männern vorangetrieben werden soll – etwa durch die Einführung von Quoten für Betriebs- und Entgeltausschüsse. Denn wir wissen: Wo Frauen fehlen, fehlen auch ihre Perspektiven. Und genau das muss sich dringend ändern. Das gilt wohlgemerkt auch für Gesetzgebung, denn hier bilden die Lebensrealitäten von Männern noch viel zu oft den Maßstab. Deshalb fordert der DGB die Implementierung eines Gleichstellungschecks für alle politischen Vorhaben in Bund, Ländern und Kommunen, damit die Lebenswirklichkeiten von Frauen bei allen Themen gleichermaßen und nicht nur in der Gleichstellungspolitik Berücksichtigung finden.

Welche Strategien entwickelt speziell der DGB, um die Gleichstellung aller Geschlechter in der Arbeitswelt zu realisieren?

Die Gewerkschaften bilden ein Gegengewicht zur Macht der Arbeitgeber*innen und setzen sich in den Betrieben für gute Arbeit und gegen Diskriminierung jeglicher Form ein. Der DGB hat wiederum die wichtige Aufgabe, die Interessen der Beschäftigten – und damit meine ich wirklich alle Beschäftigten, unabhängig von Geschlecht – gegenüber der Politik zu vertreten. Dank der konkreten betrieblichen Erfahrungen der Gewerkschaften kann der DGB die Belange der Beschäftigten in die politische Öffentlichkeit tragen und ihre Interessen gegenüber den politisch Verantwortlichen vertreten. Wir stehen für Problemlösungen im Sinne der Arbeitnehmer*innen und wollen auch die Gleichstellung der Geschlechter vorantreiben. Die Ratifizierung der ILO Konvention 190 und das damit verbundene Bekenntnis der Bundesregierung zu einer wirksamen Politik gegen sexuelle Belästigung in der Arbeitswelt, ist auch ein Erfolg der Überzeugungsarbeit des DGB. Denn auf Initiative der Frauen im DGB haben wir in den letzten Jahren laut und vernehmlich die Ratifizierung eingefordert und unseren Forderungen mit verschiedenen öffentlichkeitswirksamen Aktionen und vielen Gesprächen im Hintergrund Nachdruck verliehen.

 

Angaben zur Person: Anja Weusthoff ist Abteilungsleiterin für Frauen, Gleichstellungs- und Familienpolitik in der DGB-Bundesvorstandsverwaltung und DGB-Bundesfrauensekretärin. Sie ist außerdem stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrats.